Vietnam

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the village II

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Wenn die Sonne nicht mehr aufgeht

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Wenn die Sonne nicht mehr aufgeht

Ein Anschlag der Taliban auf Kabul raubte Nafiseh die Kindheit. Nach Jahren der Flucht lebt sie seit 2 Jahren in Malaysia. Doch die Hoffnung auf ein besseres Leben lässt auf sich warten – das Land hat noch immer nicht die Genfer Flüchtlingskonvention unterschrieben.

Ein Sonnenaufgang sollte es werden. Die 13jährige Nafiseh malte gerade das Meer blau aus, als sie das Unheil durch ihr Zimmerfenster kommen sah. Am Himmel zogen graue Wolken auf, die in weiter Ferne dunkle Schatten Richtung Kabul trieben. Mit dem ersten Donnergrollen fielen die Taliban in die Stadt ein; ein Blitzschlag war wie das Zeichen zum Schießen und die Menschen stoben auseinander, um dem plötzlichen Kugelhagel zu entfliehen. Mit irrem Blick jagten die Schützen durch die Straßen und feuerten auf alles, was sich bewegte. Schreie hallten durch die Gassen und drangen bis in die Keller, wo sich Familien aneinander gekauert vor dem Tod versteckten. Nur Nafiseh tat das Gegenteil. Statt sich in Sicherheit zu bringen, rannte sie aus dem Zimmer auf die Straße, hinein in die zischenden Geschosse. Als dann das Blut auf sie spritzte, blieben ihr nur ein paar Sekunden, um zu begreifen, dass es das ihrer eigenen Mutter war. Ein Nachbar zog sie geistesgegenwärtig in einen Hauseingang.
Als die Taliban abzogen, hinterließen sie einen Ort der Verwüstung. Die plötzliche Stille wurde nur von den Klagerufen der Verletzten gebrochen, über die sich ein sanfter Nieselregen legte. Nafiseh konnte ihre Mutter kaum von den Sterbenden unterscheiden. Nur knapp überlebte sie diesen Angriff. Und gleichzeitig war er das Ereignis, das etwas in Nafiseh sterben ließ. Ihre Kindheit rann durch ihre Hände wie das Blut der Mutter und wurde von der dreckigen Straße aufgesaugt.
als Flüchtling anerkannt

Ein Flüchtling ist eine Person, die «aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will.»  (Auszug aus der Genfer Flüchtlingskonvention).

Am 28. Juli 1951 wurden diese Worte auf der UN-Sonderkonferenz in Genf formuliert. Sie stehen noch heute für Millionen Menschen, die alles verloren haben. Die ein Leben im seelischen Ghetto fristen, wo es  dunkel, trist und freudlos ist. Mit jedem weiteren Tag werden die kleinen Hoffnungsschimmer, die manche wagen, mit Füßen getreten. Als Flüchtling gehört man nirgendwo hin. Nafiseh und ihre Familie sind nur Teil einer beispiellosen Statistik, die vom UNHCR (United Nations High Commissioner for Refugees)  geführt wird. 50 Millionen Flüchtlinge weltweit; davon 3 Millionen in Malaysia, von denen wiederum 1 Million illegal eingewandert sind. Wie viele Menschen auf der Flucht gestorben sind, kann nicht erfasst werden. Und auch die Familien, die auseinander gerissen wurden, sind nie gezählt worden. Für so etwas bleibt keine Zeit, denn täglich kommen rund 2000 Flüchtlinge zum UNHCR in Kuala Lumpur, um Hilfe zu suchen. Doch die meisten werden ernüchtert und ohne Hoffnung wieder in die armseligen Wohnblocks am Rande der Stadt zurück kehren. Dorthin, wo es keine Bürgersteige gibt; wo die schmutzigen Hochhäuser wie Grabsteine aus dem Boden ragen; wo sie den Menschen, denen es besser geht, nicht die scheinbar heile Welt verderben. In einem dieser Elendsviertel lebt Nafiseh heute mit ihrer Familie. Drei ältere Brüder, Mutter, Vater, eine Tante und eine Bekannte mit einem Säugling teilen sich die 50 Quadratmeter große Wohnung. Nafiseh ist erst 17 Jahre alt, doch seit dem Angriff damals in Kabul ist alles Kindliche aus ihrem Wesen verschwunden. Ihre Mimik ist ernst, die Stimme ruhig und dunkel. Sie erzählt von ihrem Leben wie eine Nachrichtensprecherin – deutlich, emotionslos, ohne Schnörkel.
die Aussichten im Flüchtlingsviertel sind düster
Zwei Jahre lang lebte sie auf der Flucht durch Iran und Pakistan, immer auf der Suche nach einer neuen Heimat, nach ein bisschen Schutz und Sicherheit. Doch auch in Pakistan waren die Taliban allgegenwärtig und in Iran akzeptierte man sie nicht. Vor drei Jahren kamen sie nach Malaysia, als Touristen. 30 Tage blieben ihnen – im Eilverfahren erteilte ihnen der UNHCR den Flüchtlingsstatus. Nafiseh und ihre Familie erhielten Identitätskarten, die sie seitdem immer bei sich tragen. Offiziell stehen sie damit unter dem Schutz des UNHCR; sind als Flüchtlinge anerkannt.
Als Flüchtling anerkannt. Was erst einmal so klingt, als könne man kurz aufatmen; ist beim zweiten Blick ein Zeugnis des Elends. Schulbesuch, Freizeit oder Sportverein – solche Wörter sind den Flüchtlingen fremd. Stattdessen gibt es in Malaysia mehrere Selbsthilfegruppen. Zwischen Kunsthandwerk, Koch- oder Schneiderkursen soll ein Hauch von normalem Leben stattfinden. Ein schwacher Trost, aber ein Zipfel Alltag, an den sich die Flüchtlinge klammern wie ein Äffchen an die Mutter. Denn ihre Situation ist alles andere als hoffnungsvoll - noch immer fehlt jegliche Rechtsgrundlage.
Nafisehs Eltern im Wohnzimmer
Flüchtlinge in Abschiebungshaft
Eine ansatzweise Regelung zum Umgang mit Flüchtlingen existiert bisher nur im Malaysian Immigration Act (MIA). Der wurde 1963 verfasst und ist bis heute gültig. Hier sind die empfindlichen Strafen aufgeführt, die den bösen Eindringlingen verhängt werden sollen; oder auch die Regeln zur Abschiebehaft. Dass dabei jegliche Menschenrechte ignoriert werden, ist nur ein bitterer Beigeschmack des ganzen Übels. Vierzig Menschen auf engstem Raum - keine Seltenheit hinter den Gittern der Flüchtlingslager. Männer von ihren Ehefrauen trennen - bald schon ein Volkssport bei den Grenzbeamten. Strafen, Paragrafen, Anweisungen. Alles da, was das Beamtenherz begehrt; nur eines lässt diese Regelung schmerzlich vermissen: eine Definition, wer illegaler Einwanderer ist und wer tatsächlich Flüchtling. Kurzum: jeder, der ohne Aufenthaltsgenehmigung angetroffen wird, wird verhaftet. Da nützt es auch nichts, dass Malaysia Mitglied des UN-Rates für Menschenrechte ist, wenn das Land nicht nach diesen Grundsätzen handelt. Da klingt es wie Hohn, wenn man erfährt, dass Malaysia die UN-Menschenrechtserklärung und sogar die UN-Erklärung zu Asylsuchenden unterzeichnet hat. Papier ist eben geduldig. Und so ist der Willkür der Grenzbeamten keine Grenze gesetzt. 

Begrenzt dagegen sind die finanziellen Mittel der Flüchtlinge. Wie Nafisehs Familie müssen sie tagtäglich um ihren Lebensunterhalt kämpfen. Es gibt keine Sozialhilfe und keine Möglichkeit, legal an Geld zu kommen. Es bleibt ihnen nichts anderes übrig, als die Arbeiten mit den makabren 3 D’s anzunehmen:  dirty, dangerous, difficult. Und unlängst durch demeaning ergänzt – erniedrigend. 
Auch Nafiseh würde gern arbeiten; ein bisschen Geld verdienen, um der Mutter die Sorgen zu nehmen. Aber Nafiseh hat Depressionen. Schlimme Alpträume verfolgen sie, in denen sie immer wieder in die Vergangenheit reist. Zurück nach Afghanistan. Zurück zu der Straße, in der sie einmal wohnte. Von ihrem Zimmerfenster beobachtet sie das Massaker auf dem nahe gelegenen Feld, wo die Taliban einige Frauen und Kinder zusammen treiben. Sie werden in eine Grube gestoßen und erschossen.

Jede Woche, immer montags, fährt Nafiseh zu dem weißen Gebäude nahe der Petronas Towers im Zentrum. Dort wartet sie dann mehrere Stunden vor dem Büro ihrer Sachbearbeiterin, die später einen Vermerk in die Akte schreiben wird: 17jährige Tochter der afghanischen Flüchtlingsfamilie fragt nach Aufnahme in ein Drittland (Kanada). Abgelehnt.
Wenn Nafiseh dann zu ihrer Mutter zurück kehrt, überbringt sie die sich allwöchentlich wiederholende Nachricht: Kanada nehme dieses Jahr keine Flüchtlinge mehr auf; auch Dänemark nicht oder Deutschland. Der Frieden in Afghanistan sei so weit wieder hergestellt, dass die Familie nach Kabul zurück kehren könne.
eines von Nafisehs Portraits
Dass Nafiseh und ihre Familie weder zurück können noch wollen, spielt bei der Sachbearbeitung keine Rolle. Es geht nicht um Gefühle oder Sehnsüchte. Es geht auch nicht um die Tatsache, dass Kabul noch immer ein einziges Schlachtfeld ist, in das zurück zu kehren reinster Selbstmord wäre. Zumindest für Nafiseh und ihre Familie. Denn der Vater, damals Anhänger der Demokraten in Afghanistan, würde augenblicklich erschossen werden, sobald er einen Fuß in sein Heimatland setzte. Er ist ein intelligenter Mann, studierter Ingenieur und ein kritischer Denker. Ein gefährlicher Gegner für die Taliban. Sie zwangen ihn, für sie zu arbeiten und als er sich weigerte, entkam er nur knapp den Schüssen, die sie wutentbrannt und geisteskrank auf ihn abfeuerten. Die Wunden sind heute vernarbtes Gewebe. Eine Kugel steckt noch immer in seinem Knie; es schmerzt, wenn das Wetter wechselt. Unter dem Kinn der Mutter prangt ein hässlicher weißer Fleck. Als sei das Gesicht eine Landkarte, ziehen sich Falten wie Flüsse entlang der Wange; tiefe Furchen einer Kraterlandschaft gleich schlängeln sich vorbei an den Augen, die immer feucht sind wie ein kleiner See. Wer in diese Augen blickt, kann erahnen, wie schön sie einmal gewesen sein muss. Doch die Jahre als Flüchtling haben sie gezeichnet. Sie gibt kaum noch Acht auf sich selbst, muss immer wieder laut schluchzen und verschwindet ins Nebenzimmer, um die Gäste nicht zu stören. Der Vater richtet dann den Blick zu Boden, als würde er sich schuldig fühlen. Eingesunken in das verschlissene Sofa lässt er die Hände in den Schoß fallen und blinzelt schnell ein paar Tränen weg. Er sitzt dort wie ein alter Professor, in seinem Anzug, den er jeden Tag bügelt, obwohl er nie zur Arbeit geht. 
Denn die ist angesichts der sogenannten  Bumiputra-Politik den Malaysiern vorbehalten. Den privilegierten Einwohnern, die ihr Zweite-Welt-Land in den nächsten zehn Jahren zu einer Industrienation bringen wollen. Nicht zuletzt mit den etlichen Gastarbeitern, die für einen Hungerlohn arbeiten müssen. Nach den schon nicht mehr ganz so privilegierten Chinesen und noch viel weiter nach den armen Indern flackert das Schlusslicht aus Menschen, die nicht einmal mehr eine Nationalität ihr eigen nennen können. Sie sind nur noch „die Flüchtlinge“. Staatenlos, hilflos, mittellos. Und rechtelos. Denn das Land weigert sich, die Genfer Flüchtlingskonvention zu unterschreiben. Wie ein bockiges Kind stellte sich die Regierung gegen jegliche Kooperation mit dem UNHCR. Das ist sehr viel bequemer – und vor allem sicherer. Denn die Vorbereitungen auf die nächste nationale Wahl laufen schon. Mit dem Verweis auf ihr hartes und konsequentes Durchgreifen gegenüber den Flüchtlingen sollen Punkte gesammelt werden. Auch das Vorbild Singapur ist ein Evergreen. Immerhin schützt die Regierung ihre Bevölkerung und auch die Wirtschaft vor den Nachteilen dieser Flüchtlingswelle. Die fehlende Unterschrift lässt Malaysia also freie Hand.

Zwar gab es in den letzten Monaten erstmals nennenswerte Veränderungen: die Regierung äußerte sich öffentlich zur Situation der Flüchtlinge und stellte sogar in Aussicht, legale Arbeit für die Flüchtlinge zu dulden. Doch ob solche Versprechen eingehalten werden, ist angesichts der vergangenen Ereignisse fraglich. 2004 kam eine gewaltige Flüchtlingswelle aus Myanmar nach Malaysia. Statt frei zu sein, wurden sie gefangen und in die gefürchteten Lager gesteckt. Als die Regierung  versprach, ihren Aufenthaltsstatus endgültig zu regeln, hatten sie wieder Hoffnung. Gegen eine Gebühr sollten sie spezielle Ausweisdokumente bekommen. Und tatsächlich begann das Innenministerium mit der Registrierung. Bis es im Jahre 2006 den ganzen Prozess stoppte – ohne den bis dahin 5.000 erfassten Flüchtlingen die Erlaubnis zu gewähren. Und ohne ihnen ihr Geld zurück zu geben. Als der UNHCR um Zugang zu den Lagern bat, verweigerte die Regierung jegliche Zusammenarbeit. Stattdessen kritisierte der Innenminister die Organisation aufs Schärfste. Sie behindere nur die Abschiebung der Flüchtlinge. Außerdem sei er in keiner Weise zur Kooperation verpflichtet.
Bis heute sitzen noch immer 173 Männer, Frauen und Kinder im Lenggeng Immigration Detention Center – keiner kann raus, keiner kann rein. Und das alles wegen einer fehlenden Unterschrift unter der Genfer Konvention.
Malen als einziger Ausdruck ihrer Gefühle

Nafiseh sitzt nicht in diesen Lagern. Sie ist schon gefangen – in ihrem ganz persönlichen Alptraum, in dem die Frauen und Kinder vor ihren Augen erschossen werden. Die Tage waren wie Nächte. Als würde die Sonne nie mehr aufgehen – so fühle es sich an, wenn man die Hoffnung verliert. Letztes Jahr, da hatte sie keine Kraft mehr, mit diesen Träumen zu leben. Da nahm sie eine Überdosis Paracetamol; in der Hoffnung, nur noch ein einziges Mal einschlafen zu müssen. Der sozialärztliche Notdienst bescheinigte ihr eine posttraumatische Belastungsstörung; eine Psychotherapie wurde angeraten. In den westlichen Ländern werden solche Symptome mit viel Aufwand, Geld und Zeit behandelt. Undenkbar und in weiter Ferne liegen diese Dinge für Nafiseh. Auch Krankenversicherungen kommen im Flüchtlingsvokabular nicht vor.
Die seelischen Wunden schmerzen. Um sie zu ertragen, malt sie. Sie malt  Portraits von verhüllten Frauen; Rosen und Stillleben. Am liebsten aber zeichnet sie weite Landschaften, mit sattgrünen Tälern und azurblauen Flüssen. Nur Sonnenaufgänge, die gibt es auf diesen Bildern nicht.


Marthe Rennert

the village

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Deutsch, oder was?!

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Deutsch oder was

unsere Straße ins Nirgendwo
Der 7-Uhr-Bus nervt. Er soll mich in 10 Stunden nach Luang Prabang bringen (ein kleines Städtchen im Norden Laos‘) und ruckelt seit nunmehr 11 Stunden entlang der Serpentinen. Mir wird langsam schlecht und ich bin froh um die Kotz-/ Mülltüten, die sie hier verteilen. Bei all den Unannehmlichkeiten, vor denen mein Lonely Planet mich schon warnte, ist die Landschaft nur ein schwacher Trost. Wir fahren durch sattgrüne Täler bis hinauf in die Wolken, aus denen noch meilenweit die spitzen Berge ragen. Der Anblick ist wirklich atemberaubend und sagenhaft schön. 

aber schön ist es ja...
Wären da nur nicht die erwähnten Unannehmlichkeiten. Die Straßen sind so voller Schlaglöcher, dass wir alle permanent durchgeschüttelt werden; der Busfahrer hupt in einem fort, um die Kühe zu verscheuchen; die Beifahrerin hält sich für eine Entertainerin und unterhält den gesamten Bus mit Anekdoten und Witzchen; mehrere Kinder weinen unaufhörlich. Ich nehme es  gelassen. Auch die Tatsache, dass meine Sitznachbarin, eine junge hübsche Laotin, immer wieder einnickt und dabei ihr Kopf auf meine Schulter fällt. Die Laoten haben eine andere Vorstellung von Körperkontakt und dem deutschen Meter Privatsphäre. Was bis dato alles noch auszuhalten ist, wäre da nicht eine schreckliche Angewohnheit, die sie alle mit inbrünstiger Leidenschaft zelebrieren: rotzen. 

Sie müssen entweder unter einer schlimmen Nasennebenhöhlenkrankheit leiden, einen Parasiten in der Lunge haben oder Kettenraucher sein. Ich weiß es nicht, ich will es auch gar nicht wissen. Was die Leute dort in diesem Bus heute aus ihren Körpern geholt haben, übersteigt bei weitem meinen Schnupfen eines ganzen Jahres. Sie ziehen alles klebrige Eklige aus ihrer Nase hoch und spucken es in einem hohen Bogen in die Gegend. Nun, nicht hier im Bus, zum Glück. Meine Sitznachbarin wacht immer mal wieder auf, nur um plötzlich dieses gurgelnde Geräusch von sich zu geben und den Inhalt aus ihrem Mund herzhaft laut in die Tüte zu befördern. Und nun erschließt sich mir auch der Sinn des Ganzen: es sind weder Mülltüten, noch Kotztüten – es sind Rotztüten!
irgendwo da draußen...

Als wir nach quälenden 12 Stunden in Luang Prabang ankommen, fülle ich meine Rotztüte demonstrativ mit meinem Müll, trage ihn raus und schmeiße ihn in die dafür vorgesehene Tonne. Ach, was bin ich deutsch.
Eine etwas sympathischere Eigenschaft dagegen ist ihre Art, zu reden – und zwar  laotisch. Hier spricht keiner ein Wort Englisch, was mir meine Reise deutlich erschwert und ich mehrmals hilflos dastand, in wilder Zeichensprache gestikulierend. (Solche Tücken auf Reisen sind wirklich unberechenbar!) Aber sie unterhalten sich eben gerne mit Ausländern. Also wird laotisch gesprochen, komme da, was wolle (und sei es die Deutsche, die kein Wort versteht). Eine Unterhaltung läuft dann nicht selten wie folgt ab (am Beispiel eines Tuktuk-Fahrers):

Ich: Sabai dii (heißt Hallo, und ist das einzige Wort, das ich auf Laotisch kann)

Er: Sabai dii! Sabquai dii?

Ich: Äh, ja. I need to go here. (Dabei zeige ich ihm mein Wunschziel auf der Karte.)

Er: Joa deh? (Ich nehme hoffnungsvoll an, er meint so etwas wie Ja.)

Ich: Yes?

Er: Joa deh?

Ich: No?

Er: Joa deeeehhh???

Ich: I need to go here – HERE! (Und jetzt halte ich ihm die Karte schon dicht unter die Nase.)

wir verstehen uns...
(Das ist meist der Moment, in denen er mich erstaunt und mit hochgezogener Augenbraue mustert und ich mich frage, was ich falsch gemacht habe. Wenn ich dann freundlich lächle, gibt er mir mit einer Handbewegung zu verstehen, einzusteigen. Und dann geht es weiter:) 

Ich: How much is it?

Er: Laakhaa phaeng loai. Iaw saai khwaa, pqi seu-seu (und so weiter – es folgt ein wahrer Sprudel aus Lauten und Wörtern.)

Ich mache das vermeintlich internationale Zeichen für Geld: Daumen und Zeigefinger aneinander reiben.

Er: Laakhaa phaeng loai. Iaw saai khwaa, pqi seu-seu.

Ich: ???

Er: lacht.

Ich (des englischen überdrüssig): Ok, ich geb dir 30.000 Kip dafür, ich glaub das passt so oder?

Er: Ok.

Und dann drücke ich ihm 30.000 Kip in die Hand; wir grinsen uns an und verstehen uns. 

die Wahrheit ist nur brauner Zucker

05:39 Edit This 0 Comments »
die Wahrheit ist nur brauner Zucker




mein treuer Begleiter
Mein Reiseführer und treuer Begleiter, mein Lonely Planet, warnte mich schon: Laos ist das entspannteste Land, das man in Südostasien besuchen kann. Und tatsächlich; schon am Flughafen überkommt mich eine gewaltige Welle der Schläfrigkeit (was auch an meinem akuten Schlafmangel liegen könnte). Vientiane möchte eine Großstadt sein – das Land versucht nach Jahren der Besetzung durch französische Kolonien, seinen Nachbarn Thailand und Vietnam zu folgen; doch der Flughafen und die Visabeamten scheinen noch immer die einer Kleinstadt zu sein. Alles wirkt verschlafen. Weit und breit gibt es keine Uhr, was mir sehr sympathisch ist. 



Ich habe keine Kip dabei, nur malaysische Ringgit und Euros. Die Visagebühr muss aber in US-Dollar bezahlt werden. Auf meine Frage bei einem herumschlurfenden Mitarbeiter bekomme ich zu hören: „Joa… hm, naja, also… wart mal.“ Und dann schleppt er sich mühsam fort. Es dauert 20 Minuten  bis er zurück kommt, um mir dann mit müden Augen mitzuteilen: „Joa… hm, also, wart noch mal.“



Kip: eine 2 sieht aus wie eine
verdammte 6! Wer denkt sich denn sowas aus?
Ich möchte ihn gern an den Schultern packen und ein bisschen schütteln: hey, wach doch mal auf! Es gibt was zu tun! Aber diese Ruhe hat mich schon angesteckt und so lehne ich mich an eine Wand, rauche und lächle. Es herrschen angenehme 30 Grad, die Sonne geht langsam unter und der leichte Wind weht träge durch meine Haare. Hier kann einen einfach nichts aufregen. 

Eine weitere Stunde später klebt endlich mein hübsches Visum im Pass und ich ordere ein Taxi, das mich für 4 Dollar in die Innenstadt bringt. Hier soll ich mich mit Guy treffen, ein Couchsurfer, bei dem ich ein paar Nächte schlafen kann. Im Café Jo Ma bestelle ich einen hervorragenden Café au Lait und einen Spinatquiche (was ein wenig seltsam anmutet mitten im fernen Asien) und beobachte das entspannte Treiben auf der Hauptstraße. Wobei Hauptstraße in diesem Falle eine Definition verlangt. Oder einen Vergleich: in Hamburg wäre sie eher eine kleine Gasse in Blankenese, wo keine Autos fahren. Ich döse vor mich hin; am Nachbartisch sitzt ein älterer Mann, der mir zuprostet und mich mit einer lockeren Handbewegung einlädt, zu ihm zu kommen.

die Wahrheit ist so einfach...
Und jetzt bitte einen kräftigen Applaus mit Trommelwirbel für den Menschen, der eine Stunde lang, ohne Atem zu holen, reden kann: Clarence! Clarence ist ein mäßig erfolgreicher Maler aus Kanada, Buddhist und Weltreisender. Und wenn er sich jetzt eine Mütze aufsetzen würde, säße der Weihnachstmann leibhaftig vor mir. Ich bin schwer beeindruckt von seinem schneeweißen Bart. Clarence ist auf seine ganz eigene Art und Weise weise (ja ich weiß um dieses Wortspiel, haha). Er hat aber wirklich grandiose und vor allem pragmatische Sprüche auf Lager. Unser Gespräch wird philosophisch (eine echte Herausforderung auf Englisch) und als er mir erklärt, wie man die Wahrheit findet, hebt er einfach den Deckel der Zuckerdose auf unserem Tisch, zeigt mir ihren Inhalt und sagt: da, das ist die Wahrheit. (Weitere Erklärungen erspare ich mir an dieser Stelle.) 

Clarence hat ein enormes Mitteilungsbedürfnis und ein nicht so stark ausgeprägtes Kommunikationsverhalten. Er stellt Fragen und lässt einen dann nicht antworten. Er redet unaufhörlich. Von Rom, vom Fernsehen, von seiner Meditation; von Gott und von Tieren, die er nicht isst (weil die schlechten Vibrationen während sie sterben in das Fleisch übergehen und wir diese dann aufnehmen); er redet von meiner Bachelorarbeit und von den frisch gelegten Eiern von den glücklichen Hennen auf der Farm von seiner Tante in Ohio…
Endlich kommt Guy. Und Guy ist gay. Guy ist sowas von schwul, dass man meint, eine waschechte Tunte vor sich zu haben. Es ist herrlich. Da sitze ich nun mit dem verrückten alten Mann und dem schwulen Laoten an einem Tisch irgendwo in Asien und halte mir den Bauch vor Lachen, weil die beiden versuchen, miteinander zu sprechen.

solange sie kein Pipi in mein Bett machen...
Als wir nach einer kurzen Fahrt mit dem Tuktuk zuhause ankommen, warten zwei merkwürdige Hunde mit lautem Gekläffe auf uns. Genau genommen ist das auch das Einzige, was sie mit einem Hund gemeinsam haben. Sie ähneln mit ihren Möchtegern-Windhund-Körpern, den klapprigen Beinchen und den Rehaugen eher einem Fabelwesen aus Alice im Wunderland. Aber nichts desto trotz sind sie furchtbar anhänglich und verschmust, was sie auch gleich demonstrieren indem sie sich auf meinem Bett breit machen. Nunja, das ist eh nicht frisch gewaschen und auch der Rest der Wohnung ist offensichtlich nicht im besten Zustand. Meine Zimmertür besteht nur aus einem Vorhang und der Ventilator treibt Staub in alle Richtungen. Im Bad riecht es streng nach Hundepipi (weil sie da ab und zu mal rein machen, erklärt mir Guy – nur eben nicht ins Klo sondern auf den Boden). 

hoffentlich kommt meine Spende bei ihm an..
Aber das alles macht mir nichts aus. Ich bin froh um ein Bett, und dass ich endlich einmal ausschlafen kann. Die letzten Nächte auf Bali waren kurz, sehr kurz, und anstrengend. Ich habe mir ein Fahrrad geliehen, um diesen berühmten Medizinmann zu suchen. Auf dem Weg dorthin habe ich eine kleine Spende (100.000 Rupia – 8 €) in einem Tierheim abgegeben (ein bisschen vielleicht in der Hoffnung, dass ich dadurch eine  positive Aura bekomme, die der Medizinmann erkennt!), doch als ich nach langem Suchen vor seinem Haus stehe, sagte mir seine Frau, er sei krank. Ich war enttäuscht – sollte er mir doch meine Zukunft voraussagen! Aber wenn ich genauer drüber nachdenke, möchte ich die von einem kranken Medizinmann gar nicht hören…
Tempel ohne Ende
Heute Morgen schnappe ich mir Guy’s Fahrrad und erkunde Klein-Laos – auf der rechten Straßenseite (endlich! Nach fast 4 Monaten Linksverkehr bin ich dankbar für ein wenig Heimatgefühl).  Das Land ist bitterarm; es gibt kaum befestigte Straßen und nur ein paar wenige Touristen. Der französische Einfluss findet sich an jeder Ecke: kleine Cafés und Gassen – es sieht aus wie Paris in der Sparversion – daneben prächtige Tempel in leuchtendem Gold und Silber! Ein paar Mönche marschieren geradewegs über eine vollbefahrene Straße, an der ich schon seit 5 Minuten auf eine Lücke im Verkehr warte. Wären die Mönche nicht gekommen – ich hätte wohl noch Stunden dort gestanden. Aber die Autos halten tatsächlich an und ich folge den kleinen Männern in ihren orangefarbenen Kutten. 

So also ist Laos. Zeitlos, müde, wunderschön. Eine Dose mit braunem Zucker, in dem die Wahrheit liegt; eine Stadt, die aus ihrem hundertjährigen Schlaf nicht so recht erwachen will; eine junge deutsche Frau, die sich ein bisschen verliebt hat, mittendrin.



Süße Schmerzen

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der erste Abend auf Bali wird mit Bier begossen
Süße Schmerzen


Heimlich nenne ich ihn Juan, weil ich nach 2 Tagen nicht mehr fragen mag, wie er eigentlich heißt. Das macht aber auch nichts, denn er versteht sowieso kein Englisch (ich frage mich ernsthaft, wie man ohne zurecht kommt!) und so unterhalten wir uns mit meinen spärlichen verstaubten Spanischbröckchen oder mittels Pablo, der beim ständigen Übersetzen ganz schön ins Schwitzen kommt, der Arme. Juan alias jemand anderes und Pablo hatten schon im Flieger von Kuala Lumpur nach Bali ein Auge auf mich geworfen. Ich hab es genau gesehen und die beiden erst einmal ignoriert. Als ich dann am Flughafen kein Taxi finden konnte, sahen die beiden ihre Chance und nahmen mich mit. Da der Taxifahrer, welch Zufall, mein Hotel nicht finden wollte, nahmen sie mich auch noch mit in ihren Bungalow – und so hause ich nun mit zwei argentinischen Jungs in einer kleinen Hütte, die zunehmend verwahrlost (achtung: nicht meine Schuld). Die beiden sind verliebt: ein bisschen in mich und ganz schön doll ins Surfen, was ihre Nachlässigkeit in Sachen aufräumen erklärt. Besonderen Tiefgang habe ich von Anfang an schon nicht erwartet, aber sie machen tatsächlich die ganze Zeit nur Spaß. Sie sind selbst ein einziger großer Witz. Wie sie mich zum Lachen bringen, entschuldigt damit auch das Maurerdekolletee, das sie beide tragen (zur Erklärung: ein Maurerdekolletee bezeichnet eine so tief sitzende Hose, dass ein Großteil des Hinterns zu sehen ist). Außerdem wollen sie nicht auf meinen mütterlichen Rat hören und haben sich gleich am ersten Tag herrlich verbrannt; sie leuchten in fluoreszierendem Himbeerrot – zu meinem Vorteil, denn so kann ich sie auch nachts noch sehen, wenn sie in der Menge das zehnte Bier bestellen und sich furchtbar laut und peinlich benehmen. Ich schäme mich fremd und kommentiere ihr unsagbares Benehmen mit schiefen Blicken. Und trotz dieser Unzulänglichkeiten mag ich sie beide furchtbar gerne, weil sie einfach so sind wie sie sind.  
freakige Freunde - Pablo und Juan




es ist nur ein bisschen gefährlich...
Am Morgen nach unserer Ankunft werde ich von einem lauten Hupen geweckt. Kaum dass ich mich anziehen kann, um nach der Ursache für diesen Krach zu sehen, kommt ein pfeifender Pablo ins Zimmer und kneift mir in den Zeh. Jetzt sofort soll ich mich anziehen, er hätte eine Massage gebucht. Da kann ich schlaftrunkend nichts weiter erwidern und bin sowieso der Meinung, dass mein geschundener Rücken mal was Gutes verdient hat. Ich schwinge mich auf den Roller und bereue es in
dem Moment, als wir auf die „Poppies“ biegen. Die Straße ist nur knapp 2 Meter breit und überbevölkert mit Menschen, Rollern, Verkaufsständen und schlafenden Katzen. Aber als würde die Straße uns allein gehören, brettert Pablo durch die Gasse, hupend, gestikulierend, mit dem deutschen blonden Mädchen hinten drauf, das tausend Tode stirbt – sekündlich. Ich kreische und weine und flehe ihn an, doch vorsichtiger zu fahren. Zwischen meinem verzweifelten Gegluckse muss ich vor lauter Aufregung so sehr lachen, dass ich mich verschlucke und nach Luft schnappe, was ein paar Insekten (faustgroß) dazu einlädt, direkt in meinen Mund zu fliegen. Man mag es nicht glauben, aber der Verkehr funktioniert! Und liebe Eltern, den nächsten Absatz solltet ihr besser überspringen…


selbstverständlich finden auch die Surfbretter Platz!
Wir reihen uns in das kollektive, geordnete Chaos ein – überholen links und rechts, mal weichen wir auf den Bürgersteig aus, wo die Touristen wie selbstverständlich Platz machen. Auf manchen Rollern fahren sogar ganze Familien: ein Kleinkind (ohne Helm natürlich), eingeklemmt zwischen Lenker und dem Vater, der kaum größer ist als ein weiteres Kind, das auf seinem Schoß sitzt. Hinter ihm seine Frau, die in jeder Hand und auf dem Kopf große Einkaufstüten balanciert. An ihren Rücken ist ein Baby geschnallt. Manche transportieren sogar noch ein paar Möbel, Surfbretter oder Hühner, und jegliches Verständnis für Platz nimmt ganz andere Dimensionen an. Ich bin fasziniert, wie viele Menschen und Gegenstände auf einem Roller untergebracht werden können! Von den vorbeirasenden Autos im Kreisverkehr trennen mich nur noch Millimeter. Wir müssen ständig scharf bremsen, weil sich aus den Hofeinfahrten immer mehr Fahrräder, Roller und auch mal Pferdekutschen auf die Straße drängeln. Das alles bei Tempo 60 und ohne Rücksicht auf Verluste.

Nach einer halben Stunde Nervenkitzel kommen wir endlich in der Wohlfühlstube an, wo mir ein junger Balinese zwei Stunden auf dem Rücken rumtrampelt. Für nur 8 Euro bekomme ich eine Shiatsumassage, die sich so anfühlt als würde mich eine Dampfwalze überfahren. Der Masseur bohrt seine Zehen in meine Oberschenkel, knetet Muskeln zwischen meinen Rippen, von deren Existenz ich nie wusste und haut auf meine Fußsohlen, dass es nur so klatscht. Mein Körper gibt merkwürdige Geräusche von sich; es knackt und ächzt wie ein alter Baum; ich bin überwältigt von angenehmen Schmerzen, die sich bald zu einem einzigen warmen Gefühl ausbreiten.

Wie neugeboren starten wie den nächsten Tag mit einer weiteren irrwitzigen Rollerfahrt quer über die Insel. Schon bald haben wir das Surfermekka  Kuta verlassen und fahren über kurvige Landstraßen, vorbei an kläffenden Hunden, betenden Frauen und spielenden Kindern. Alle scheinen hier glücklich zu sein – ich lasse mich davon anstecken, grinse vor mich hin und lasse mir den kühlen Fahrtwind ins Gesicht blasen. Die Landschaft ist so schön, dass ich heulen möchte. Die Balinesen sind die Anmut in Person – der Superlativ von „hinreißend“ würde ihnen noch nicht gerecht werden. Alle haben sie diese hohen Wangenknochen an den feucht schimmernden tiefbraunen Augen, die immer zu lächeln scheinen. Die vollen Lippen und der dunkle, gleichmäßige Teint unter den schwarzen Haaren verzaubern mich. Welche Schönheit die Natur doch hervorbringt!
der Ausblick entschuldigt die Todesangst auf dem Roller
Juan alias jemand anderes und ich am Strand

Nach einer halben Stunde erreichen wir die kleine Bucht an der Westküste. Riesige Monsterwellen brechen an den Steilwänden und rauschen betäubend laut in meinen Ohren. In einer kleinen Strandbar trinken wir einen frisch gepressten Melonensaft und während ich noch entspanne, blickt Pablo schon unruhig aufs Meer. Das sei nicht der richtige Platz, meint er. Wir müssten noch „ein paar Meter weiter“, dorthin, wo die Wellen jedes Surferherz höher schlagen lassen. Die paar Meter entpuppen sich als selbstmörderischer Spaziergang: wir klettern über die Vulkansteine, die so spitz und
scharf sind, dass ich sie schmerzhaft durch meine Flipflops spüre. Ja, warum machst du denn so was auch immer mit Flipflops, würde jetzt manch einer sagen, und ja nun, würde ich antworten, meine Riesenfüße passen nun mal nicht in asiatische Größen. Und so rutsche ich mehrmals auf den glitschigen Steinen ab, lasse dabei ein paar Quadratzentimeter Haut zurück und auch einen Fingernagel, bei dem Versuch, gekonnt über einen ekligen Krebs zu springen. Ich jammere und verfluche Pablo für diese Tortur; besonders als eine extra große Welle über mich kommt und von Kopf bis Fuß einnässt. Damit er mich auch versteht, schreie ich bei jedem spitzen Stein laut „Puta“, das einzige spanische Schimpfwort, das mir in Zeiten des Schmerzes einfällt. Aber alles Jammern hilft nichts; Pablo und Juan alias jemand anderes lachen nur und hüpfen wie junge Gazellen über die Krater und Schluchten.
mein Feind, die Monsterwelle

Völlig fertig erreichen wir endlich den heißbegehrten Strandabschnitt, wo ich mich laut schluchzend auf mein Handtuch kauere und die Welt verfluche. Aber nur für ein paar Minuten – ein bisschen Selbstmitleid tut den geschundenen Füßen so gut!  Meine beiden argentinischen Freunde lassen alles stehen und liegen und stürzen sich in die Wellen; ich sehe nur noch ihr weißes Maurerdekolletee an den hummerfarbenen Körpern ins Wasser tauchen. Großartig, denke ich, macht ihr mal, ich lese inzwischen mein neues Buch „Eat, pray, love“, ein Bestseller von einer depressiven Frau, die vor den Trümmern ihres Lebens steht und sich bei ihrer Reise durch Italien, Indien und Indonesien auf die Suche nach spiritueller Erleuchtung macht. Es wurde mir schon kurz nach meiner Ankunft in Malaysia empfohlen, aber da habe ich es noch als religiösen Humbug abgetan. Nach drei Monaten in Angesicht zum Islam und den neuen Erkenntnissen über mich selbst bin ich allerdings auch auf der Suche. Zwischen Moslems, Touristen und Affen habe ich mehr als einmal ein seltsames Gefühl verspürt, das mich antreibt. Wohin und warum, wusste ich nicht, bis ich gestern in dem Second-Hand-Buchladen stehe und meine Hand wie automatisch in eine Richtung wandert – zu genau diesem Buch. Ich kaufte es sofort. Und als ich jetzt an diesem einsamen Strand liege und die ersten Seiten lese, passiert etwas Merkwürdiges: die Autorin erzählt von einem braunen Hund, den sie früher einmal hatte. In diesem Moment, gerade als ich den Satz lese, läuft ein kleiner brauner Hund an mir vorbei. Ohne Herrchen, ohne Leine; er guckt mich nur kurz an und ist auch schon verschwunden, ehe ich mich von der seltsamen Erscheinung wieder  gefangen habe. Am Abend soll es noch eine weitere Begegnung dieser Art geben. Nachdem ich nun fest beschlossen hatte, es mal mit Meditieren zu versuchen, spricht mich in einer Bar ein junger Mann an. Er kommt aus Australien (wie alle hier) und fragt mich, ob ich schon „eat, pray, love“ gelesen hätte.  In dem Buch erzählt die Autorin bald nach der Hundegeschichte von einem Medizinmann, der auf Bali lebt. Er hätte ihn gefunden und wolle ihn bald besuchen. Er gibt mir die Adresse. Nächste Woche fahre ich hin… 

Aber jetzt liege ich noch am Strand und genieße die himmlische Ruhe. Pablo und Juan alias jemand anderes treiben weit weg und versuchen, die mächtigen Wellen zu bezwingen. Die Sonne brennt. Keine Menschenseele, nur ich und mein Buch und die feinen indonesischen Zigaretten, die einen süßen Vanillegeschmack auf den Lippen hinterlassen. Müßiggang in seinem ganzen Ausmaß. Es ist herrlich. Und gerade als ich mich so schön bräsig von der Sonne braten lasse, tappe ich in eine Touristenfalle: ich beschließe nämlich, nur kurz ins Wasser zu gehen, um mich ein bisschen abzukühlen. Arglos gehe ich ein paar Schritte; da werden die Wellen schon höher, aber längst nicht so hoch, dass sie mir etwas anhaben könnten. Ich wage mich also weiter. Kurz drehe ich mich um, um nach meiner Tasche zu sehen und in diesem Moment reißt es mir die Beine weg. Ich werde meterweit weggespült von diesem Monstrum, das sich scheinheilig vor mir aufgebaut hat, um mich jetzt zu vernichten.  Ich weiß nicht mehr, wo oben und unten ist; tauche unter und schlucke literweise Wasser, weil mir der Mund von diesem plötzlichen Schrecken noch offen steht. Sämtlicher Mascara verteilt sich augenblicklich über meinem Gesicht und als das Meer mich endlich wieder ausspuckt, liege ich zersaust und jammernd im seichten Wasser. Kleine Wellen plätschern um meine Füße, als würden sie das ungeheuer komisch finden. Ich spucke salzige Galle und reibe mir die tränenden Augen. Ich spüre Sand in sämtlichen Körperöffnungen, die hier nicht weiter erwähnt werden sollten. Es scheuert, juckt und brennt. Alles tut weh! Ich schleppe mich zu meinem Handtuch und versuche mich zu erholen. Aber keine fünf Minuten später – ich habe gerade eine Muschel aus meinem Ohr gepuhlt – fallen hunderte von Moslems in Scharen an dem Strand ein. Es müssen wenigstens fünf    Reisebusse gewesen sein, die sie hier angekarrt haben! Die kopftuchtragenden Frauen lassen sich von ihren Männern vor den Wellen fotografieren – und dann auch noch mit mir. Jeder, der mich entdeckt, hält es für selbstverständlich, mit mir auf einem Foto zu sein, als wäre ich eine verdammte Statue! Freundliche Floskeln sind  Zeitverschwendung und so heißt es nur noch „Fotofotofoto?“, begleitet von einer knipsenden Handbewegung. Und ehe ich nein sagen kann, hocken sie schon neben mir, von Kopf bis Fuß verhüllt; ich in meinem weißen Bikini, mit Sonnenbrand und Sand im Gesicht, schwarzen Tuscheringen unter den Augen und ohne Sonnenbrille. Die wurde nämlich von meinem Feind, der Monsterwelle, verschluckt. Es tut mir weniger um das billige Ray-Ban-Plagiat leid als um die Tatsache, dass es die nächsten hundert Jahre im Meer treiben wird und sich vielleicht ein Fisch daran verschluckt. Aber für solches Mitleid bleibt mir zwischen all den Moslems keine Zeit – ich versuche nur, nicht allzu dümmlich zu gucken, wo ich doch so elendig aussehen muss. Später werden sie ihren Familien zuhause erzählen, was das für eine komische Weißnase war, die da am Strand lag wie ein gestrandeter Wal. „Das hättest du sehen sollen, toll war das, so eine ganz exotische Art von Mensch; komisch sah das aus, hihi.“





Pablo und Juan alias jemand anderes kommen zurück, als es dämmert. Wie bewundern den schönsten Sonnenuntergang, den ich je in meinem Leben gesehen habe. Die Farben sind unbeschreiblich. Und würde Pablo mich jetzt nicht nötigen, den gleichen Weg zurück zu gehen den wir gekommen sind, wäre ich einfach zufrieden. Aber all mein Gezetere und Geheule nützt nichts; ich muss noch einmal über die spitzen Steine und verstauche mir dabei den kleinen Zeh.

Nunja, meine ersten Tage auf Bali sind also geprägt von Schmerzen und Schönheit. Eine gute Mischung wie ich finde; das macht die Empfindungen so herrlich intensiv. Jetzt kehre ich zurück in unseren Bungalow, der wahrscheinlich noch ein wenig dreckiger ist als heute Morgen; wo die Handtücher schon stehen vor Schmutz und zwei sonnenverbrannte Argentinier wimmernd darauf warten, dass ich ihnen den Rücken eincreme…
In diesem Sinne, sonnige Tage, und bis bald.


schmerzhaft schön...