die Wahrheit ist nur brauner Zucker

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die Wahrheit ist nur brauner Zucker




mein treuer Begleiter
Mein Reiseführer und treuer Begleiter, mein Lonely Planet, warnte mich schon: Laos ist das entspannteste Land, das man in Südostasien besuchen kann. Und tatsächlich; schon am Flughafen überkommt mich eine gewaltige Welle der Schläfrigkeit (was auch an meinem akuten Schlafmangel liegen könnte). Vientiane möchte eine Großstadt sein – das Land versucht nach Jahren der Besetzung durch französische Kolonien, seinen Nachbarn Thailand und Vietnam zu folgen; doch der Flughafen und die Visabeamten scheinen noch immer die einer Kleinstadt zu sein. Alles wirkt verschlafen. Weit und breit gibt es keine Uhr, was mir sehr sympathisch ist. 



Ich habe keine Kip dabei, nur malaysische Ringgit und Euros. Die Visagebühr muss aber in US-Dollar bezahlt werden. Auf meine Frage bei einem herumschlurfenden Mitarbeiter bekomme ich zu hören: „Joa… hm, naja, also… wart mal.“ Und dann schleppt er sich mühsam fort. Es dauert 20 Minuten  bis er zurück kommt, um mir dann mit müden Augen mitzuteilen: „Joa… hm, also, wart noch mal.“



Kip: eine 2 sieht aus wie eine
verdammte 6! Wer denkt sich denn sowas aus?
Ich möchte ihn gern an den Schultern packen und ein bisschen schütteln: hey, wach doch mal auf! Es gibt was zu tun! Aber diese Ruhe hat mich schon angesteckt und so lehne ich mich an eine Wand, rauche und lächle. Es herrschen angenehme 30 Grad, die Sonne geht langsam unter und der leichte Wind weht träge durch meine Haare. Hier kann einen einfach nichts aufregen. 

Eine weitere Stunde später klebt endlich mein hübsches Visum im Pass und ich ordere ein Taxi, das mich für 4 Dollar in die Innenstadt bringt. Hier soll ich mich mit Guy treffen, ein Couchsurfer, bei dem ich ein paar Nächte schlafen kann. Im Café Jo Ma bestelle ich einen hervorragenden Café au Lait und einen Spinatquiche (was ein wenig seltsam anmutet mitten im fernen Asien) und beobachte das entspannte Treiben auf der Hauptstraße. Wobei Hauptstraße in diesem Falle eine Definition verlangt. Oder einen Vergleich: in Hamburg wäre sie eher eine kleine Gasse in Blankenese, wo keine Autos fahren. Ich döse vor mich hin; am Nachbartisch sitzt ein älterer Mann, der mir zuprostet und mich mit einer lockeren Handbewegung einlädt, zu ihm zu kommen.

die Wahrheit ist so einfach...
Und jetzt bitte einen kräftigen Applaus mit Trommelwirbel für den Menschen, der eine Stunde lang, ohne Atem zu holen, reden kann: Clarence! Clarence ist ein mäßig erfolgreicher Maler aus Kanada, Buddhist und Weltreisender. Und wenn er sich jetzt eine Mütze aufsetzen würde, säße der Weihnachstmann leibhaftig vor mir. Ich bin schwer beeindruckt von seinem schneeweißen Bart. Clarence ist auf seine ganz eigene Art und Weise weise (ja ich weiß um dieses Wortspiel, haha). Er hat aber wirklich grandiose und vor allem pragmatische Sprüche auf Lager. Unser Gespräch wird philosophisch (eine echte Herausforderung auf Englisch) und als er mir erklärt, wie man die Wahrheit findet, hebt er einfach den Deckel der Zuckerdose auf unserem Tisch, zeigt mir ihren Inhalt und sagt: da, das ist die Wahrheit. (Weitere Erklärungen erspare ich mir an dieser Stelle.) 

Clarence hat ein enormes Mitteilungsbedürfnis und ein nicht so stark ausgeprägtes Kommunikationsverhalten. Er stellt Fragen und lässt einen dann nicht antworten. Er redet unaufhörlich. Von Rom, vom Fernsehen, von seiner Meditation; von Gott und von Tieren, die er nicht isst (weil die schlechten Vibrationen während sie sterben in das Fleisch übergehen und wir diese dann aufnehmen); er redet von meiner Bachelorarbeit und von den frisch gelegten Eiern von den glücklichen Hennen auf der Farm von seiner Tante in Ohio…
Endlich kommt Guy. Und Guy ist gay. Guy ist sowas von schwul, dass man meint, eine waschechte Tunte vor sich zu haben. Es ist herrlich. Da sitze ich nun mit dem verrückten alten Mann und dem schwulen Laoten an einem Tisch irgendwo in Asien und halte mir den Bauch vor Lachen, weil die beiden versuchen, miteinander zu sprechen.

solange sie kein Pipi in mein Bett machen...
Als wir nach einer kurzen Fahrt mit dem Tuktuk zuhause ankommen, warten zwei merkwürdige Hunde mit lautem Gekläffe auf uns. Genau genommen ist das auch das Einzige, was sie mit einem Hund gemeinsam haben. Sie ähneln mit ihren Möchtegern-Windhund-Körpern, den klapprigen Beinchen und den Rehaugen eher einem Fabelwesen aus Alice im Wunderland. Aber nichts desto trotz sind sie furchtbar anhänglich und verschmust, was sie auch gleich demonstrieren indem sie sich auf meinem Bett breit machen. Nunja, das ist eh nicht frisch gewaschen und auch der Rest der Wohnung ist offensichtlich nicht im besten Zustand. Meine Zimmertür besteht nur aus einem Vorhang und der Ventilator treibt Staub in alle Richtungen. Im Bad riecht es streng nach Hundepipi (weil sie da ab und zu mal rein machen, erklärt mir Guy – nur eben nicht ins Klo sondern auf den Boden). 

hoffentlich kommt meine Spende bei ihm an..
Aber das alles macht mir nichts aus. Ich bin froh um ein Bett, und dass ich endlich einmal ausschlafen kann. Die letzten Nächte auf Bali waren kurz, sehr kurz, und anstrengend. Ich habe mir ein Fahrrad geliehen, um diesen berühmten Medizinmann zu suchen. Auf dem Weg dorthin habe ich eine kleine Spende (100.000 Rupia – 8 €) in einem Tierheim abgegeben (ein bisschen vielleicht in der Hoffnung, dass ich dadurch eine  positive Aura bekomme, die der Medizinmann erkennt!), doch als ich nach langem Suchen vor seinem Haus stehe, sagte mir seine Frau, er sei krank. Ich war enttäuscht – sollte er mir doch meine Zukunft voraussagen! Aber wenn ich genauer drüber nachdenke, möchte ich die von einem kranken Medizinmann gar nicht hören…
Tempel ohne Ende
Heute Morgen schnappe ich mir Guy’s Fahrrad und erkunde Klein-Laos – auf der rechten Straßenseite (endlich! Nach fast 4 Monaten Linksverkehr bin ich dankbar für ein wenig Heimatgefühl).  Das Land ist bitterarm; es gibt kaum befestigte Straßen und nur ein paar wenige Touristen. Der französische Einfluss findet sich an jeder Ecke: kleine Cafés und Gassen – es sieht aus wie Paris in der Sparversion – daneben prächtige Tempel in leuchtendem Gold und Silber! Ein paar Mönche marschieren geradewegs über eine vollbefahrene Straße, an der ich schon seit 5 Minuten auf eine Lücke im Verkehr warte. Wären die Mönche nicht gekommen – ich hätte wohl noch Stunden dort gestanden. Aber die Autos halten tatsächlich an und ich folge den kleinen Männern in ihren orangefarbenen Kutten. 

So also ist Laos. Zeitlos, müde, wunderschön. Eine Dose mit braunem Zucker, in dem die Wahrheit liegt; eine Stadt, die aus ihrem hundertjährigen Schlaf nicht so recht erwachen will; eine junge deutsche Frau, die sich ein bisschen verliebt hat, mittendrin.