eine Gurke und die Liebe

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Eine Gurke und die Liebe

Was lange währt, wird endlich gut: Einhundert Jahre wartete Mek Wok auf die große Liebe. Das grüne Gemüse bescherte ihr nicht nur ein beachtliches Alter, sondern auch einen neuen Ehemann.

So ganz sicher ist Mek Wok sich nicht, wenn man sie nach ihrem Alter fragt. 106 Jahre, grübelt sie dann, vielleicht auch 107. „Moment“, sagt der Dolmetscher, der  ihre Sprache in brüchiges Englisch übersetzt. Mek Wok hebt eine knochige, bearmreifte Hand und zählt damit die Finger der anderen. „Also 1922 war ich 18“, murmelt sie. „Dann müsste ich um 1904 geboren sein, oder?“ Offenbar schert sie sich keinen Deut um ihr Alter, und auch nicht um die Aufregung, die deshalb verbreitet wird. Mek Wok ist einfach glücklich.

Letztes Jahr ging ihre Geschichte um die Welt. Ein Zeitungsfuzzi, wie man ihre Worte frei übersetzen könnte, hörte von ihr und setzte ein furchtbares Gerücht in Umlauf. Es verschaffte der alten Dame eine Berühmtheit, von der manche nur träumen können.  Die Meldung, sie suche einen neuen Ehemann, verkaufte sich hervorragend. Der Zeitungsfuzzi verdiente gut an ihr. Nur Mek Wok sah nie etwas von dem Geld und als sie jetzt hört, was die Welt sich über sie erzählte, wird sie böse. 

Mek Wok dreht den Ring an ihrem Finger. Die Schwester bringt süßen Tee, ein zahnloser Vetter dreht an den Knöpfen des Ventilators, der die stickige Luft in alle Richtungen treibt. Es ist ein heißer Tag in Kuala Berang, Terengganu, wo Mek Wok zeit ihres Lebens wohnt. Immer arm, mit immer anderen Ehemännern. 23 sind es mittlerweile; aber vorsichtshalber rechnet sie noch einmal mit den Fingern nach. Die Hälfte dieser Männer ist schon tot, ebenso  viele Scheidungen machte sie durch. Aber reich waren sie nie, und so lebt Mek Wok heute von einer kümmerlichen Rente. Sie blieb kinderlos.

Wer Mek Wok googelt, findet die Nachricht in sämtlichen Sprachen, ergänzt durch Fotos einer gut gelaunten, faltenreichen Frau, die von ihrem Balkon schelmisch in die Kamera grinst. Die Menschen schmunzelten, als sie lasen, dass die alte Dame einen neuen Mann suche. Hätte sie das gewusst, sagt sie zornig, hätte sie ihn kochlöffelschwingend von ihrem Hof gejagt; das sei ja unerhört! Selbstverständlich liebe sie ihren Mann! Den, der seit zwei Jahren in einer Entzugsklinik sitzt und von den Drogen nicht los kommt. Den Mann, den sie seitdem nicht mehr gesehen hat; aus Geldnot, und auch weil die Fahrt dorthin so anstrengend sei. Den Mann, der fast 70 Jahre jünger ist als sie. Genau den. Ihre Stimme wird sanft, wenn sie an das erste Treffen denkt. Sie lehnt sich zurück in das zerschlissene Sofa, legt die Hände in den Schoß und erzählt von der Liebe. Vier Jahre ist es her, als sie auf den kleinen Markt am Rande des Dorfes ging. Einkaufen, kochen, ein wenig im Koran lesen – es war ein ganz normaler Tag. Doch als sie nach der Gurke griff, um die Festigkeit zu überprüfen, da wurde es ihr weich ums Herz. Ein Mann - groß, dunkel, gutaussehend – der sah ihr in die Augen und es war um sie geschehen.


Die Liebe sei keine Frage des Alters, sondern des Glaubens. Doch der, sagt sie plötzlich mit wachen Augen, ist auch ein Fluch. Als Frau hat sie da nichts zu lachen, und Anfang des 19. Jahrhunderts schon gar nicht. Ihre Eltern verheirateten sie früh; da war sie gerade mal zehn Jahre alt. Schön fand sie das nicht, war er doch bald drei Mal so alt wie sie. Er schlug, und damit hatte sie einen Grund, sich scheiden zu lassen. So sei das eben im Islam. Es folgten mehrere Hochzeiten und Scheidungen. Immer waren es die Eltern, die ihre Tochter an Männer versprachen, die sie nicht liebte. Mit 25 wurde sie mit einem Halbwüchsigen vermählt, 14 Jahre alt. Die Ehe hielt drei Monate. Trotzdem sei dies die beste Zeit in ihrem Leben gewesen. Da reiste sie durch Thailand, mit Mann Nummer fünf. Ein paar Wochen kam sie so weg von der harten Arbeit als Erntehelferin. Sie kletterte auf Berge, sprang in Flüsse und liebte sich im Heu. Was man eben so macht, als junge Frau. Dabei zieht Mek Wok ihre Augenbrauen hoch, als wundere sie sich selbst über ihren Freimut von damals. „Ich war eben sorglos. Die Arbeit war hart, aber das Leben war ein Gutes.“ So sagt sie und sackt für ein paar Momente in sich zusammen, in Erinnerungen schwelgend.

Mek Wok ging nie zur Schule. Vor 100 Jahren sah es in Malaysia noch anders aus – ein Dritte-Welt-Land wie es im Buche steht. Da packte jeder mit an, auf dem Hof, auf dem Feld, im Haus. Die kleine Mek Wok und ihre 10 Geschwister  lernten schon früh, was es heißt, arm zu sein. Sie lebten von der Hand in den Mund und so war die einzige Lösung, die Mädchen zu verheiraten. Die Frage nach der Liebe wurde übergangen; Zweckmäßigkeit war die Devise.  - Verlangt  wurde nur die Liebe zu Allah. Er gibt Mek Wok noch heute die Kraft zum Leben und auch den Geist hält er frisch. Jeden Tag ein paar Zeilen im Koran, das ist ihr kleines Geheimnis zur Langlebigkeit. Und viel Gemüse, am liebsten Gurken.


Zimperlich ist die magere Frau nicht, und man traut seinen Augen kaum, wenn sie wie jetzt schwungvoll  aufsteht und leichtfüßig durch das mit Plastikblumen geschmückte Zimmer eilt. Sie greift eine schwere Tonschale, mit Früchten gefüllt. Etwas zerknirscht bietet sie ihren Gästen Bananen und Äpfel an: „Manchmal bin ich einfach nicht so aufmerksam, ich hab‘ aber auch so viel um die Ohren“. Und wieder wagt man sich kaum vorzustellen, was eine 106jährige noch alles zu tun haben könnte. Nun, grinst sie und schält eine Banane, da gäbe es so einiges: der Garten, der gepflegt werden will. Jeden Tag dieses Unkraut, das sei ja die Pest; und dann die Familie – etliche sind es, Neffen und Cousinen, Schwägerinnen und Geschwister, Tanten und Onkel. Viele suchen ihren Rat, denn mehr als ein Jahrhundert Lebenserfahrung wollen weitergegeben werden. Die jungen Leute seien immer nur mit diesem Handy beschäftigt, auch so eine Pest, dabei wissen ihre Nichten schon gar nicht mehr, wie man eine richtige Gemüsebrühe koche. Aber bei der Familie sei es eh nicht weit her mit dem guten Geschmack und dabei zwickt Mek Wok ihrer Schwester kräftig in die Wange.  

Für die Zukunft wünscht Mek Wok sich nichts mehr, als einmal nach Mekka zu pilgern. Einmal diese Reise tun, die so wichtig ist für eine Muslimin. Einmal die heilige Moschee berühren, einmal den Sonnenuntergang in Arafat sehen. Doch für diese Reise ist das Geld zu knapp. Mek Wok wird es nicht mehr dorthin schaffen, da ist sie sich sicher. Traurig macht sie das, wie sonst kaum etwas in ihrem Leben. Nur über ihren Mann, der bald aus der Klinik entlassen werden soll, zerbricht sie sich den Kopf so sehr, dass es schmerzt. Ihr fester Glaube an seine Heilung ist dennoch unerschütterlich: „Wenn er bald zu mir zurück kommt, dann werden wir hier wieder glücklich zusammenleben. Ich liebe ihn so sehr!“ Und dann, sagt sie verträumt, dann gibt es Gurkensalat!

Marthe Rennert