ein Stempel für mein Schicksal

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ein Stempel für mein Schicksal


Warum bin ich nicht einfach liegen geblieben?! Nach nur zwei Stunden Schlaf. Klingelt der Wecker. Um drei Uhr morgens. 
Warum bin ich nicht einfach liegen geblieben?! 

Das Ziel war - geographisch betrachtet - die andere Hälfte Malaysias. 4 Tage in Sabah, eine kleine schmucke Stadt mit Meerblick. 
Das Ziel wurde - realistisch betrachtet - ein zehnstündiger Aufenthalt in Malaysias Immigrationsbehörde, mit Knastfeeling. Psychoterror gab es gratis. 

Ich stehe am Check-In-Schalter von AirAsia und schiebe meinen Pass über den Tresen. Meine Augen hängen auf Halbmast; die Nacht war eindeutig zu kurz. Kein Kaffee auf dieser Welt, auch nicht intravenös, könnte mich jetzt mehr aufwecken als die Worte des Mitarbeiters: "Your visa is invalid." 

Meine Gedanken kriegen augenblicklich Schluckauf. Invalid? Kenne das Wort nicht... Invalide? So wie behindert? Hindernis? Das klingt nicht gut. Und noch bevor ich wirklich realisiere, was das Wort "invalid" bedeutet und schlimmer noch, was seine Konsequenzen sind, fühle ich mich ein paar Jahre zurück versetzt. 
Amerika, Seattle. Ich, an der Passkontrolle. Damals sagte jemand auch so etwas wie "Your visa is invalid" und ich verbrachte eine Nacht im Gefängnis. Mit 18, und im Minirock. Das war der Traum von Amerika.

Doch jetzt hat mich die Realität zurück. Ich bin in Südostasien und als ich endlich begreife, was jetzt alles passieren könnte, denke ich unweigerlich an die Todesstrafe, die in Malaysia noch immer verhängt wird.
Was natürlich Quatsch ist bei Visaproblemen, aber in diesem Moment kann ich meine Befürchtungen kaum bremsen. Ungläubig starre ich auf den Schandfleck in meinem Pass. Der böse Stempel trägt tatsächlich das Datum 30. März und verdirbt mir mit seiner bloßen Anwesenheit meinen gesamten Urlaub. 

Ich bin so perplex, dass ich statt zu antworten nur auf die blaue Tinte starren kann. Vielleicht korrigiert er sich noch, je länger ich ihn bös fixiere. Aber der Stempel hat sich schon längst  in den Kopf des deutschen Bundesadlers gefressen und wird dort auf alle Zeiten bleiben. Hinter mir macht sich langsam Unmut laut und auch der eben noch so nette Mitarbeiter wirkt auf einmal bedrohlich. Einer seiner Kollegen drängt mich etwas unsanft zur Seite, damit die anderen Passagiere einchecken können. Ich erkläre ihm, dass der Stempel falsch sei; schließlich habe ich Ende März noch brav im Hörsaal gesessen! "Please believe me", höre ich mich selbst sagen, ich bin doch erst am 30. April eingereist, aber meine eigenen Worte klingen unglaubwürdig. Da könnte ja jeder kommen. 

Mit Tränen in den Augen verlasse ich den Check-In-Bereich. Ein Securitymann fragt, was denn los sei und ich erkläre ihm meine unglückliche Lage. Tja, da müsse ich eben zur Immigrationsbehörde. Er schreibt mir die Adresse auf und ich warte auf den nächsten Bus Richtung Hauptbahnhof. Den letzten habe ich gerade verpasst; aber die halbe Stunde Wartezeit auf den nächsten ist Nichts im Vergleich dazu, was mich noch alles erwarten soll an diesem Tag... 




3041. Das bin ich, seit ich die Einwanderungsbehörde betreten habe. Die Zahl hat sich in mein Gehirn eingebrannt; ich wiederhole sie ständig, um sie ja nicht zu vergessen. Dabei schweift mein Blick immer wieder auf den Zettel, auf dem sie steht und zurück zu der Anzeige, wo zwei Stunden lang alle anderen Nummern aufgerufen werden, bis ich endlich dran bin. Es herrscht ein ohrenbetäubender Lärm in der Wartehalle; weinende Frauen rennen hinaus, grimmige Männer herein, dazwischen überall brüllende Kinder, die nicht verstehen, was sie hier sollen. Es ist ein einziges Chaos aus wuselnden Menschen wie Ameisen; mit meinen blonden Haaren ähnele ich einem Fremdkörper in dem Haufen. "Durang Durang", dröhnt es aus den Lautsprechern, immer wieder, ich weiß nicht, was es heißt. Ich höre mich nur noch selbst murmeln, apathisch schon... 3041... 3041... 3042.. scheiße, 3041... pass doch auf! 


2 Stunden später. Die Zahl blinkt rot auf der Anzeige, ich kann es kaum glauben: 3041! Endlich, gleich kann ich sagen, dass alles ein großer Irrtum ist und darf dann gehen... doch als die Frau am Schalter einen Blick in meinen Pass wirft, starrt sie mich wie Spinnefeind an und zischt "You have an overstay!!" Ich will gerade protestieren, als sie mich auf meinen Platz zurück zitiert. Ich soll aufschreiben, warum ich mich illegal im Land aufhalte. Da drängelt schon der nächste hinter mir und mir bleibt nichts anderes übrig, als zu gehen. In meinem besten und höflichsten Englisch erkläre ich in den drei Zeilen, die dafür vorgesehen sind, dass der Stempel das falsche Datum trägt. 


Diesmal warte ich nicht, bis ich wieder aufgerufen werde. In einem Anfall von Fassungslosigkeit und Ärger marschiere ich zu der Frau und drücke ihr meinen Zettel in die Hand, gleichzeitig erkläre ich das Problem - höflich, aber bestimmt. Sie schneidet mir das Wort ab und sieht mich an, als hätte ich ein paar Kilo Heroin geschmuggelt. So komme ich nicht weiter, denke ich und sehe in diesem Moment ihren Babybauch. Gerade holt sie ein Handy aus ihrer Jackentasche. Das ist meine Chance, vielleicht kann ich ihre Aufmerksamkeit noch einen Moment länger haben. Sie soll das Handy nicht so nah am Bauch tragen; die Strahlen seien furchtbar schädlich für das Kind! Und tatsächlich, ich bekomme ein (wenn auch kurzes) Lächeln und ein Thank you, bevor sie mir sagt, ich müsse noch eine Stunde warten. Außerdem soll ich meinen Pass kopieren gehen, und zwar im Erdgeschoss, und zwar sofort. 


Ich wundere mich über diese Machenschaften, sage mir aber, dass dies hier eben nicht Deutschland sei. Typisch deutsch allerdings suche ich nach einem Kopierraum. Den gibt es natürlich nicht. Stattdessen zeigt ein alter Moselm, den ich danach frage, auf den Glaskasten eines Restaurants. Dort baumeln ein paar geköpfte Hähnchen. Wie passend, denke ich fahrig, und frage den Koch, ob ich seinen Kopierer denn bitte benützen dürfte. 


Und wieder sitze ich in der Halle. Nicht eine Stunde später, wie mir versprochen wurde, sondern drei. Drei. Dreißig. Einunddreißig. Einundreißigvierzig. Ich bin schon zu lange hier, in diesem Lärm und Gestank, ich verliere meine Zuversicht... die Minuten vergehen wie Stunden; ich starre nur noch auf die Anzeige. 



Ein paar geköpfte Hähnchen feiern eine Party zwischen den tobenden Kindern, Durang Durang, 3140. 
Immer wieder. 
Ich studiere die Schuppen meines Vordermannes bis mir schlecht wird. Durang Durang. 
Neben mir zieht eine Inderin die Nase hoch.
Durang Durang.
Jemand hustet in meinen Nacken. Die Minuten vergehen wie Stunden. 
Tobende Kinder feiern eine Party zwischen geköpften Hähnchen.
Ich verfalle ins Delirium. 
Durang.





Fortsetzung folgt...