Traurige Tropen

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Traurige Tropen

Seinem Bewohner ist es egal, wie er heißt. Wir Menschen nennen ihn Merbau und holzen ihn zu unseren Zwecken ab. Der Rohstoff wird gewinnbringend  - und meist auf illegalem Wege - in die Industrienationen verschifft.  Die Konsequenzen für Tier und Klima sind verheerend.

Und wieder wird einer getötet. Noch atmet er, als die Säge kreischend ins Holz fährt und seine Zweige wie Gliedmaßen abtrennt. Späne fliegen in alle Richtungen, es kracht und ächzt, es riecht verbrannt. Langsam weicht das Leben aus ihm. Er ist entwurzelt, sein Stamm ist bereits gespalten. Als der Baum noch stand, stark und gesund, produzierte er Tag für Tag den für uns überlebenswichtigen Sauerstoff. Er gab Tieren ein zu Hause und konnte sogar mit seinen Wurzeln das Wasser säubern. Jetzt liegt er am Boden. Zerstückelt, zerkleinert, verstümmelt. Seine Überreste werden von einem Laster abtransportiert, er hinterlässt eine kahle Stelle. Was hier wie in einem schlechten Film anmutet, findet nicht weit von uns im malaysischen Regenwald jeden Tag statt. Doch so kostbar die Bäume für unser Überleben sind, so wertvoll sind sie auch für die Wirtschaft. Der Merbau-Baum, der gerade in die nächstgelegene Holzfabrik gebracht wird, liefert den Rohstoff für Parkettfußboden oder Gartenmöbel. Dafür fallen jedes Jahr allein im malaiischen Sarawak rund 200.000 Hektar Wald zum Opfer. Das ist eine Fläche fast so groß wie das Saarland. Der Merbau-Baum wächst beispielsweise in dem riesigen Belum-Temengor-Waldgebiet, wo es noch weitere 2500 verschiedene Baumarten gibt. Dieses gewaltige Ökosystem ist gerade mal  130 Millionen Jahre jung. 

Traurig blickt der kleine Orang-Utan dem Laster hinterher. Er sitzt auf der kahlen Stelle - dort, wo eben noch „sein“ Baum stand. Hier ist er jeden Tag bis in die dichte Krone geklettert, hat sich von Ast zu Ast geschwungen und stolz über seine Heimat geschaut.  Er ahnt noch nicht, dass er und seine Familie hier schon bald nicht mehr leben kann. Wenn die Malaysian Nature Society (MNS) sich nicht irrt, könnte sein Zuhause schon in zehn Jahren verschwunden sein. Nach Angaben der Naturschutzorganisation bedeutet das nicht nur für die Orang-Utans eine extreme Bedrohung. Auch Elefanten, Nasenaffen und Nashörner müssen den Bedürfnissen der westlichen Welt weichen. Doch mit der Abholzung nimmt das Grauen noch kein Ende: Wenn Wald und Tiere erst mal verschwunden sind, eignet sich der frei gewordene Platz hervorragend für eine weitere Einnahmequelle. Palmöl. Stellen Sie sich vor, Sie besitzen einen Hektar – das sind 100 x 100 Meter - Regenwald. Für diesen Flecken Erde bietet Ihnen jemand etwa 7000 Euro, wenn sie darauf Ölpalmen anpflanzen (keine Sorge, das brauchen Sie nicht selbst tun). Wenn Sie ökologisch denken und sich gegen die Bewirtschaftung entscheiden, erhalten Sie natürlich eine Entschädigung: 700 Euro aus den internationalen Klimakrediten für den Walderhalt. Wie würden Sie sich entscheiden? Den Betreibern der Palmölplantagen stellt sich diese Frage nicht. Schließlich gehört Malaysia zu den führenden Exporteuren. Zusammen mit Indonesien beliefert das Land rund 85 Prozent des Weltmarktes. Das Öl wird zum Beispiel genutzt, um Papier herzustellen, Sie können es aber auch in Ihrer Lieblingsschokolade und beinahe jedem Waschmittel finden. 

Der Merbau-Baum hat gerade die malaiische Grenze überquert, als in diesem Moment am anderen Ende der Welt der Mitarbeiter eines Möbelhauses sein Emailpostfach öffnet und die Bestellungen der Woche überprüft. Eine Familie aus Hamburg möchte einen Tisch aus dem begehrten Holz kaufen und erwartet die Lieferung des Möbelstücks am Ende des Monats. Weder die Familie noch der Mitarbeiter ahnen, dass das Holz für diesen Tisch illegal importiert wurde. Der Einzelhandel verlässt sich meist auf die Angaben der Lieferanten. Und da es bis heute kein EU-weites Gesetz gibt, das die Einfuhr von Tropenholz regelt, kann die Herkunft kaum nachgewiesen werden. Für die Zwischenhändler ist es also ein Leichtes, sich an den dürftigen Vorschriften vorbei zu mogeln. Solange es keine einheitliche Regelung gibt, kann die boomende Holzindustrie weiterhin ihre utopischen Gewinne einfahren. Für den Regenwald in Malaysia wird das verheerende Folgen haben. Bereits 2002 dokumentierte die MNS Erdrutsche und die Verschlammung von Flüssen – einzig und allein die Folgen der Abholzung. 

Vermutlich ahnte der kleine Orang-Utan das alles nicht, als er mit ansah, wie „sein“ Baum abtransportiert wurde.  Und während sich die hamburgische Familie zum Dinner um ihren neuen Esstisch versammelt, streunt er durch die wenigen Bäume, die ihm noch geblieben sind. Er ist auf der Suche. Nach ein bisschen Ruhe. Und vor allem – einem Zuhause.


Marthe Rennert