Der Verkehr und ich.

05:14 Edit This 0 Comments »
Ich stehe unter einer Achsel. Die daraus sprießenden Haare kommen meinem Gesicht bedenklich nahe. Es riecht. Ich atme durch den Mund und drehe meinen Kopf so weit wie nur irgend möglich aus der Gefahrenzone. Der Bus ist so überfüllt, dass wir bei WettenDass mitmachen könnten: Wie viele Asiaten passen rein und wie lange überlebt das die Deutsche? 
Jemand steht auf meinen Fuß, neben mir wird gehustet, die Achsel kommt schon wieder näher. Der Busfahrer passt sich dem stockenden Verkehr an: bremsen, anfahren, bremsen, anfahren, bremsen. Dem macht das auch noch Spaß, denke ich gallig und verlagere mein Gewicht auf das andere Bein. Seit einer Stunde mache ich das und wir sind unserem Ziel noch keine 100 Meter näher gekommen. Die Luft ist trotz Klimaanlage so dick wie meine geschwollene Wade, und ein Ende ist nicht in Sicht. Anfahren, bremsen. Ich versuche herauszufinden, wo wir gerade sind und ob ich den Rest nicht laufen könnte. Doch die Haltestellen haben ja keine Namen, fällt mir ein, und gleich sehen sie auch noch alle aus. Ich lasse meinen raffinierten Plan fallen und ergebe mich meinem Schicksal. Der böse Busfahrer hält mitten auf der Straße, um noch ein paar Inder mitzunehmen. Es ist ja reichlich Platz, denke ich empört, als sich die Masse hinter mir plötzlich bewegt: Jetzt sehe ich meine Chance, der Achsel zu entkommen: ein (!) Mensch steigt tatsächlich aus! Ich habe die Lücke schon im Visier, boxe den hustenden Chinesen weg, streife gerade so an der Achsel vorbei - und ergattere mit einem kleinen Hechtsprung den ersehnten Platz!! - Doch im selben Moment der Erleichterung werde ich augenblicklich für meinen Egoismus bestraft. Die Haltegriffe schlagen im Takt des gemeinen Busfahrers gegen meinen Kopf. Anfahren, Haltegriff schlägt Kopf, bremsen. Anfahren... Ich gebe jegliche Hoffnung an ein bisschen Stehplatzluxus auf und starre resigniert aus dem Fenster. Stop! Ist das nicht der Weg zu dem Supermarkt um die Ecke? Mein heiß ersehntes Ziel, meine erklärte Liebe in diesem Moment? Nicht ohne den Busfahrer in die Hölle zu schicken, springe ich bei der nächsten Möglichkeit raus und - natürlich war es die falsche Haltestelle. Ich habe mich, wie immer, getäuscht und stehe jetzt irgendwo im Nirwana. Der Bus hüllt mich zum Abschied noch in eine stinkende Abgaswolke und ich beginne leise schimpfend zu laufen. Kein Supermarkt in Sicht und meine Kehle beginnt bereits, auszutrocknen. Einigen Fußmarsch später tut sich vor mir, einer Oase gleich, ein kleiner Stand auf, an dem frisches Obst verkauft wird. Röchelnd und hustend erreiche ich ihn mit letzter Kraft und kaufe eine Tüte Weintrauben. Während ich die Fruchtstückchen aufspieße, versuche ich dem Verkäufer zu erklären, wohin ich will.  Er lächelt die ganze Zeit und nickt freundlich. Allerdings auch dann noch, als ich ihm eine Frage stelle. Ich kapituliere und will ein Taxi anhalten, obwohl das gegen meine Prinzipien ist. Immerhin hatte ich mir eine nicht billige Monatskarte für den hervorragenden öffentlichen Nahverkehr gekauft! 
Doch alle guten Vorsätze sind verworfen, als ich beinahe auf dieses Ungeheuer trete! Das gibt mir den Rest und ich nehme sofort das nächstbeste Taxi! Im Nachhinein glaube ich ja, sie war tot... aber in diesem Moment bin ich sicher, es will mich töten. Völlig fertig mit der Welt sitze ich nun endlich im Taxi Richtung Supermarkt. Der Verkehr wird flüssiger, ich entspannter. Da die Landschaft  außer menschenfressenden Schlangen nicht allzu viel hergibt, studiere ich die Hinweise für die Fahrgäste. Sie beschreiben detailliert, wie der Fahrer sich zu verhalten und sogar wie er auszusehen hat! "Well dressed" steht da, oder "always kindly". Gut, denke ich, während der Fahrer auf einmal beginnt, gegen seine Scheibe zu schlagen! Dann haut er sich selbst mit der flachen Hand ins Gesicht und mir wird langsam Angst und Bange. Was soll denn das?!  Die Antwort schwirrt summend an meinem Ohr vorbei: eine Mücke! Aber nicht die nette kleine deutsche Mücke, sondern ein ausgewachsenes Riesenbiest mit richtigen Reißzähnen! Ich weiche aus, links, rechts - das Scheusal versucht mich zu beißen! Ich fuchtele wild mit den Händen in der Luft und katapultiere es damit zurück zum Fahrer. Der macht kurzen Prozess und klatscht das Ding an die Fensterscheibe, wo es einen großen schmierigen Fleck hinterlässt und langsam an der Scheibe herunter gleitet. Mir ist schlecht. So schlecht, dass ich nur eine Packung Milch im Supermarkt kaufe.. 
Auf dem Weg nach Hause nehme ich wieder den Bus. Keine Achsel diesmal, unter der ich stehen muss. Dafür bin ich eine ganze Stunde einem Blick ausgesetzt, der mich ernsthaft an mir selbst zweifeln lässt! Hat man denn ein Baby schon mal so gucken sehen??!!