Catch me if you can

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Catch me if you can

Ich bin so heftig mit einer Religion zusammengestoßen, dass mir von dem Aufprall noch immer der Kopf brummt. Dieser Eintrag würde manchen sicher bitter aufstoßen, wenn sie ihn zu Ende gelesen haben, aber die Sache beschäftigt mich so sehr, dass ich sie loswerden muss. Und zwar so, wie ich sie sehe, mit meiner Erziehung und meiner Kultur und meiner Art, zu leben. Feminismus nicht ausgeschlossen.

Donnerstagabend. Ich sitze im Flieger Richtung Terengganu, eine Provinz im Norden Malaysias. Für meinen nächsten Artikel soll ich nach einer steinalten Frau suchen, die angeblich nochmal heiraten möchte. Via Couchsurfing habe ich einen jungen Mann in meinem Alter ausfindig gemacht, bei dem ich übernachten und der mir bei der Suche helfen kann. Im Flugzeug sitze ich neben einem Mädchen mit Kopftuch, wir kommen ins Gespräch. Ich nutze die Gelegenheit und frage sie nach den wahren Gründen für den Kopftuchzwang. Um sich selbst zu schützen, ok. Vor den Männern, auch das macht Sinn. Aber dass sie es erst ablegen darf, wenn sie verheiratet ist, lässt mich stutzen. Ich frage weiter und mit jeder Antwort werde ich ungläubiger. Sie hat einen Freund, aber der darf sie nicht berühren. Sie liebt ihn, aber er darf sie nicht küssen. Sex ist völlig ausgeschlossen, und zwar so lange bis sie seinen Ring am Finger trägt. Bis dahin dürfen die beiden nicht einmal allein in einem Raum sein. Wie man sich denn da kennen lernen könne, wundere ich mich. Wie sie sicher sein kann, sich gegenseitig „riechen zu können“. Sie ahnt, was ich damit meine und bekommt große Augen. Es wird ihr offenbar langsam unangenehm und so lasse ich meine indiskreten Fragen. Aber ich will Antworten, und ich werde sie bekommen.

Am Flughafen holt mich Nizam mit zwei Freundinnen ab. Und einem Onkel, der nicht spricht. Zumindest nicht mit mir. Als ich ihn die Hand zur Begrüßung anbiete, scheinen alle für einen Moment zu erstarren und ich rechne fast damit, dass er mir seine nicht reichen will. Einen Wimpernschlag später ergreift er sie dann doch; ich bin erleichtert, die anderen sehen verlegen weg. Ich verstehe gar nichts mehr. Bin ich ihm so unsympathisch? Später wird Nizam mir erklären, dass auch diese Art der Berührung in seiner Religion verboten ist.

Wir fahren auf einen Nachtmarkt, um etwas zu essen. Mit skeptischen Blicken werden wir von den Einheimischen verfolgt. Ich bin die einzige mit kurzärmligem T-Shirt und ohne Kopftuch. Wenigstens schlabbert eine lange Hose um meine Beine. Dass es hier so rigoros vor sich geht, konnte ich nicht ahnen und gehe im Kopf meine Kleidung durch, die ich im Rucksack bei mir trage: Knappe Kleidchen und kurze Hosen. Natürlich, etwas anderes besitze ich gar nicht. Wozu auch, bei 35 Grad?! Aber je länger ich mich mit meinen Gastgebern unterhalte, desto mehr verstehe ich die Religion. Und umso mehr regt sich ein gewisser Widerwille in mir. Zu viele ihrer Ansichten kann ich nicht nachvollziehen, so sehr ich mich auch bemühe und meine Vorurteile abzulegen versuche. Das meiste halte ich für übertrieben und unsinnig, behalte dieses Urteil aber lieber für mich. Erst recht, als wir an Nizam’s Wohnung ankommen. Es ist spät und ich freue mich auf eine Dusche und ein weiches Bett. Er hat vier Räume, einer davon ist ein Gästezimmer. Aber schlafen darf ich hier nicht. Stattdessen gehe ich mit seiner Bekannte Nisa in ihre „Wohnung“, ein baufälliger Verschlag mit zwei winzigen Zimmern. Zu zweit wohnen sie hier, weil sie sich vor Geistern fürchten. Auch ich habe Angst. Das Bett ist zu kurz und zu klein und ich rechne damit, rauszufallen, auf Nisa drauf, die neben mir auf dem Boden schläft. Ich schwitze und in der Nacht habe ich einen heftigen Alptraum. Ob das ein erster Gruß von Allah ist?!

Am nächsten Morgen stehe ich um halb sieben noch schlaftrunken vor der Haustür und rauche eine nach dem Stress. Jetzt wird mir klar, wo wir sind. Ein Dutzend Teenager läuft an mir vorbei; junge Mädchen in Schuluniform, die mich von oben bis unten mustern. Ich grüße freundlich und konzentriere mich auf die zwei Babykätzchen die um meine Beine streichen. Ich soll Nisa zu ihrer Klasse begleiten. Sie ist Englischlehrerin und meint, dass es den Schülern gut täte, wenn sie sich mit mir unterhalten. Was an diesem Tag noch alles folgen soll, ahne ich noch nicht, als wir die Tür hinter uns schließen.



Fotsetzung folgt...